Sehr geehrte Damen und Herren!
Die St. Josephsgemeinde hat mich eingeladen, meine Gedanken zur Fastenzeit auf künstlerische Weise im Kirchenraum auszudrücken.
Ich möchte Sie gerne davon überzeugen, erst die jeweiligen Stationen an den Fastensonntagen in Ruhe zu betrachten, die Eindrücke in Ihnen wirken zu lassen, und erst dann die jeweiligen Informationsblätter zu lesen. Meine Erläuterungen der einzelnen Stationen sind nämlich keine Anweisung zur alleinig „erlaubten“ Suchweise. Sie bringen Ihnen bei Interesse Information über die verwendeten Symbole, einige Hintergründe, Verweise und notwendige Erklärungen für zufällige Besucher der Kirche; manchmal auch einige meiner Gedanken zu diesen „Passionsbildern“.
Manche Besucher – und speziell die Kunstinteressierten unter Ihnen – mögen sich vielleicht wundern, dass in den aufliegenden Informationsblättern die einzelnen Stationen der Kunstaktion detailliert beschrieben und erläutert werden. „Etwas zu erklären bedeutet nicht, es zu banalisieren“, sagte Papst Benedikt XVI heute in seiner Abschiedsrede vor dem römischen Klerus. Erklären aber ist in „Kunstkreisen“ wenig üblich. Die Kunst soll „von selbst“ begriffen werden – so die Meinung vieler Künstler – und, ein angenehmer Nebeneffekt: das nicht ganz zu Verstehende, das nicht Erklärte, wirkt stets geheimnisvoll (sogar da, wo es das nicht ist).
Es gibt aber einen Grund für diese detaillierte Beschreibung. Zum einen: Nicht alle Besucher dieser Kirche sind bibelfeste Gläubige. Manchmal „verirrt“ sich auch ein Passant, der schon lange nicht mehr in der Kirche war und etwas Ruhe und Besinnung sucht, hierher. Die Symbole, die der Künstler verwendet, bedürfen in diesem Falle der Erklärung. Zum anderen: Moderne Kunst, und speziell Installationen, sind nicht allen Besuchern vertraut und mancher mag sich vielleicht fragen, was das ganze hier soll.
Sechs verschiedene Installationen werden jeweils für eine Woche inmitten des Hauptschiffs aufgebaut. Zu jeder dieser Stationen gibt es ein Blatt mit einer kurzen Erläuterung. Auf der Rückseite dieser Erläuterungen finden Sie jeweils ein „Meditationsbild“. Dies dient keinesfalls der optischen Ausschmückung (so wie heute jeder freie Platz eines Blattes mit Werbung oder passenden Graphiken bis zum letzten Fleck ausgenützt wird) und wie auch jede Stille fast zwanghaft mit dem Lärm der Welt überdeckt und verscheucht wird (wer kennt nicht die Arztpraxen, in denen ein Fernseher läuft, Gaststätten und Cafés mit TV-Geräten über der Theke, mit kurzen hektischen Bildsequenzen). Furcht vor der Stille, denn sie könnte uns was „sagen“.
Konsum ist der wa(h)re Gott des 21. Jhdt.
Im ausgehenden 20. und frühem 21. Jhdt. unterliegen die Menschen den vielfältigen Verlockungen des technischen Fortschrittes, sie schreiten von sich selbst, ihrem innerem Frieden fort; Schritt für Schritt, wie es das Wort Fort_schritt schon sagt, und Schritt um Schritt bedeutet auch, kaum wahrnehmbar, weil einzelne Schritte nie besonders spektakulär sind.
Immer weniger Europäer sind gläubig – dazu meinen sie zu „aufgeklärt“ und zu rational zu sein, und sind stolz darauf – aber sie sind andererseits leicht_gläubig genug, zu glauben geliebt, geborgen und wichtig zu sein, nur weil sie bei Facebook 150 Freundschaftspunkte haben.
Sie vermeinen zu Wissen, nur weil sie wissen, dass sie bei Wikipedia mal kurz reinschauen können. Sie verwechseln Nachsehen können mit Wissen und eigener Erkenntnis. Sie glauben frei zu sein, weil sie in diversen Blogs ihren „Senf“ abladen können und weil sie bei unzähligen Shows per Telefonanruf abstimmen dürfen; „jede Stimme zählt“ nur nicht mehr die Stimme eines Predigers in der Wüste.
Menschen beherrschen zwar zunehmend alle möglichen Programme, von Photo-bearbeitungen und Filmschnitt über Musikbearbeitungen nebst allen gängigen Textprogrammen, sind selbstverständlich bei Xing, Twitter und Facebook vernetzt, können e-mailen, simsen, skypen und mit dem Handy telefonieren. Aber sie bemerken dabei gar nicht mehr, dass ihnen das Erlernen all dieser Programme und das permanente Kommunizieren die Zeit wegstiehlt. Sie haben alles, aber sie sind nichts mehr (Erich Fromm). Sie können zwar mit 12 Kommunikationsmitteln miteinander kommunizieren, und tun dies auch ununterbrochen, aber es ist nur mehr sinnloser Mist, den sie vermeinen weitergeben zu müssen, Gelaber, Gewäsch, ohne jeden Wert; auf zwei Sätze reduziertes Gestammel!
Zugemüllt und überfüllt hetzten und flüchten sich immer mehr Menschen in die nächste Flucht vor sich selbst, zunehmend auch ausgeliefert einem Kreislauf aus wirtschaftlich bedingten und künstlich geschürten Bedürfnissen. Aggressionen unter jungen Menschen nehmen zu; Frustration, Burn-out, Depression, Sinnlosigkeit, und dies schon in jungen Jahren, inmitten eines blühenden Landes. Wir haben in Europa die Zeiten und Bedrohung der Kriege hinter uns gelassen, aber nun verbrennen wir in uns (innerlich) selbst.
Dem gegenüber steht das Einfache, das Unschrille, von Meister Eckhart: “Die Leute, die da Frieden suchen in äußeren Dingen, sei’s an Stätten, bei Leuten oder in Werken, in der Fremde oder in Armut oder in Erniedrigung – wie eindrucksvoll oder was es auch sei, das ist dennoch alles nichts und gibt keinen Frieden. Sie suchen völlig verkehrt, die so suchen. Je weiter weg in die Ferne sie schweifen, umso weniger finden sie, was sie suchen. Sie gehen wie einer, der den Weg verfehlt: je weiter er geht, um so mehr geht er in die Irre.“…
…“Darum fang bei Dir selbst an und laß dich!“ (Meister Eckhart, Reden der Unterweisung, 3. Traktat)
„In der Welt, nicht von der Welt“ und dies eben meint und beschreibt Friedrich Rückert in einem Gedicht, dessen erste Zeile ich zum „Titel“ meiner Passionsaktion wählte.
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Damit ist nicht Gleichgültigkeit, Desinteresse und Weltabgewandtheit gemeint und auch nicht, keine Krankenversicherung mehr zu zahlen oder den Steuerbescheid rechtzeitig abzugeben. „Die Welt als Welt behandeln, aber nicht von der Welt sich zur Welt herabziehen lassen.“
Heute, 2013: wer kann es sich noch leisten, wer wagt es noch, der Welt abhanden zu kommen?
Dies Meditationsbild möchte ein Bild im Sinne der alten „Erbauungsbilder“ sein. Es soll etwas daraus erwachsen können, auf das man bauen kann. Nicht das Denken oder Nachdenken darüber sollte im Vordergrund stehen! Bitte betrachten sie es einfach und versuchen sie dabei nichts zu denken – fünf Minuten nur – und beschenken Sie sich dadurch selbst mit einem Loslassen von allem; Müssen, Wollen, Denken, Haben und erreichen Wollen – lassen Sie es sein, Lassen Sie Sich Sein.
Es sei notwendig, sagt Karl Rahner, dessen inne zu werden, dass Gott „ schon lange still horcht, ob Du nicht nach alldem geschäftigem Lärm, den wir unser Leben nennen, einmal auch ihn zu Wort kommen lassen, zu dem Wort, das dem Menschen, der Du bisher warst, nur wie ein tödliches Schweigen vorkommt“.
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„Sinn“ dieser Passionsaktion ist es nicht zu belehren, auch nicht zu bekehren. Wohl aber aufzurütteln, wachzurütteln, Sie dazu „überreden“ zu wollen, für wenige Augenblicke innezuhalten. Sich bereit machen, sich leer machen – eine bewährte Tradition der katholischen Kirche in Form der Fastenzeit (und diese dient nicht dem Abnehmen aus gesundheitlichen Gründen oder weil man sich dann besser fühlt! Das Fasten ist ein primär geistig und seelisches sich leermachen, denn nur dann kann „Besuch“ von „Oben“ kommen, wenn nicht schon alles zehnfach besetzt und zugemüllt ist).
Falls sie ein Gespräch wünschen, sei es um Fragen oder Kritik willen, oder einfach dem Wunsch sich auszutauschen, sprechen Sie bitte Herrn Pfarrer Dr. Rau oder den Küster, Herrn Weilke, an, sie werden Ihnen meine Telefonnummer geben.
Der Titel – Ich bin der Welt abhanden gekommen – kann in vertonter Form (Gustav Mahler; Dirgent, Claudio Abado; Mezzosopran, Magdalena Kožená) in einer wunderbaren Aufnahme bei youtube gehört werden.
» DOWNLOAD – ICH BIN DER WELT ABHANDEN GEKOMMEN – INFOBLATT «
Reihenfolge der Aktionsbilder | Titel | Thema |
1. Aschermittwoch und 1. Fastensonntag | Der Menschensohn & Salvator Mundi | Verwundern, Verwirren, Berühren |
2. Fastensonntag | Ein Stier ist kein Lamm | Schockieren, Einstimmen |
3. Fastensonntag | God is not an iPhone / Anathema | Aufrütteln |
4. Fastensonntag | Das schwarze Schaf vor der Heimkehr | Versöhnung |
5. Fastensonntag | Crux et Rosae | Hoffnung |
6. Palmsonntag | Adventus II | Ankunft |
– Triduum sacrum | Stätte zum Gedächtnis | Verwundern |
– Karfreitag | Weiß wie Schnee |
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.